Sorgen wir dafür, dass Lea der letzte Löwe ist, der quer durch Deutschland verfrachtet wird
Am 7. September, irgendwo in der Slowakei, wird ein weißes Löwenjunges in eine Holzkiste gesteckt. Gerade mal sieben Wochen nach seiner Geburt wird es von seiner Mutter getrennt und geht einem ungewissen Schicksal entgegen.
Die Kiste wird verschlossen und in einen Kleintransporter verladen. Neben ihr steht ein Käfig mit einem Silberwangenhornvogel. Die Türen werden zugeschlagen und der Transporter fährt los. Stundenlang hockt das kleine Löwenbaby im Dunkeln, nicht ahnend, dass es seine Mutter nie wiedersehen wird. Ein Band, das in der Natur ein Leben lang hält, ist für immer zerbrochen. Das Kleine wird nicht bei seiner Mutter säugen können, wird nicht mit ihr spielen und nicht von ihr lernen können, ein Löwe zu sein. Es ist jetzt sich ganz und gar selbst überlassen. Verkauft.
Der Kleintransporter fährt Richtung Westen, unterwegs zu einem Zoo in Frankreich, wo der Hornvogel abgeliefert werden soll. Danach soll es nach Katalonien in Spanien weitergehen, wo der Käufer des kleinen Löwen wohnt. Doch am Dienstagmorgen gegen 5 Uhr schlägt das Schicksal zu. Zwischen der Anschlussstelle Kronau und dem Walldorfer Kreuz auf der A5 in Deutschland wird der Kleintransporter in einen Unfall mit zwei anderen Fahrzeugen verwickelt. Die Ladung wird herumgeschleudert und Türen fliegen auf. Die Holzkiste bleibt unbeschädigt, doch der Vogelkäfig bricht auf und der Nashornvogel fliegt davon, in die Bäume. Rettungskräfte finden in den Fahrzeugen vier Schwerverletzte, die in ein Krankenhaus gebracht werden. Und als sie sich der Holzkiste nähern, sehen sie dem weissen Löwenbaby direkt in die verängstigten Augen – es ist unverletzt.
Lea, wie dieses tapfere kleine Raubtier jetzt genannt wird, wird in das nahe gelegene Reptilium, einen großen Reptilienzoo in Landau, gebracht, wo sie unterkommt, solange die Behörden den Vorfall untersuchen. Schnell gerät sie in die Schlagzeilen deutscher Medien, wodurch wir einen seltenen Einblick in die Welt des Wildtierhandels in Europa bekommen. Doch die Geschichte, die nun folgt, wirft mehr Fragen als Antworten auf.
Wie ist es möglich, dass ein Löwenjunges vorzeitig von seiner Mutter getrennt und in einem unauffälligen Transporter quer durch Europa befördert werden kann? Wer sind diese Züchter, denen Geld und Profit wichtiger als das Wohlergehen des Löwenjungen? Und wo sollte Lea eigentlich hin? Ist dies vielleicht ihre Chance, ihrem unbekannten Schicksal in Spanien zu entgehen?
Es gibt viele, die es nicht unberührt lässt, was mit Lea geschieht, und die helfen wollen. Mehrere angesehene Organisationen haben sich sofort bereit erklärt, ihr eine gute Zukunft zu bieten. Die Auffangstation für Großkatzen in Maßweiler will sie gerne aufnehmen, und wir von AAP könnten die weiße Löwin in unser spezialisiertes Großkatzenzentrum Primadomus bringen. Die Rettungskoordinatoren sind besorgt und fragen bei den Behörden ständig nach, was mit dem Welpen geschehen soll. Und mit Recht besorgt, wenn ein Zirkus öffentlich anbietet, Lea aufzunehmen, was wahrscheinlich die denkbar schlimmste Option ist. Die deutsche Tierschutzorganisation und AAP-Partner Pro Wildlife, erklärt klipp und klar: Ein so junges Löwenwelpen sollte nicht von seiner Mutter getrennt werden. Und ausserdem sollten wir derartige Tiertransporte in Deutschland gar nicht erst zulassen.
Doch inzwischen ist man bei der behördlichen Untersuchung zu dem Schluss gekommen, dass die meisten erforderlichen Papiere vorliegen und es keine rechtliche Grundlage gibt, Leas Weiterreise zu verbieten. Die Züchter müssen lediglich mit einem Bußgeld rechnen, weil das Tier zu jung ist und die nötigen Impfungen fehlen. Wenn also kein Wunder geschieht, dann wird Leas Schicksal den ursprünglich geplanten Verlauf nehmen, so wie es vorgesehen war, bevor die Öffentlichkeit durch den Verkehrsunfall auf sie aufmerksam gemacht wurde.
Wir bei AAP Animal Advocacy and Protection, mit fast 50 Jahren Erfahrung in der Rettung exotischer Tiere, sind nur allzu vertraut mit den tragischen Geschichten des legalen und illegalen Handels mit Wildtieren in Europa. Aber wie viele Tiere wir auch retten – leichter macht es uns das nicht, die Tiere, die uns durch die Maschen rutschen, einfach ihrem Schicksal zu überlassen. Die Geschichte dieses Löwenjungen liegt uns schwer im Magen. Wir – und zweifellos auch viele Menschen in Deutschland – sind der Meinung, dass Lea etwas Besseres verdient hat. Und auch die unzähligen exotischen Tiere, die unbemerkt und ungesehen durch Europa verschoben werden. Aus diesem Grund drängen AAP und unsere europäischen Partner immer nachdrücklicher darauf, dass die Regierungen wirksame Gesetzgebung einführen, um Tierleid zu verhindern.
Finden Sie auch, dass es solche Geschichten wie Leas nicht geben sollte? Finden Sie auch, dass wir nicht zulassen sollten, dass Löwen und andere exotische Tiere, die sich in keiner Weise als Haustiere eignen und auch eine Gefahr für Menschen darstellen können, gezüchtet, verkauft und kreuz und quer durch den Kontinent befördert werden? Dass exotische Tiere nicht in unmarkierten Transportern auf der Autobahn einem traurigen Schicksal entgegengekarrt werden sollten? Sind Sie auch der Meinung, dass unsere gegenwärtige Gesetzgebung unzureichend ist, um Tierquälerei zu verhindern? Dass die Behörden viel mehr unternehmen könnten und sollten, Tiere wie Lea zu schützen?
Der Hoffnungsschimmer in dieser Geschichte ist, dass es ein gesetzgeberisches Instrument gibt, das exotische Tiere wie Lea davor schützen würde, in schreckliche Lagen wie eben diese zu geraten. Dieses Instrument ist die Positivliste. Die Positivliste ist eine weisse Liste von erlaubten Tierarten, die von Fachleuten als sicher und geeignet für die Haltung als Haustiere beurteilt werden. Alle dort nicht aufgeführten Tierarten dürfen automatisch nicht gehalten oder gehandelt werden. Dies dient nicht nur dazu, den Handel mit exotischen Heimtieren effektiv, effizient und transparent zu regulieren, sondern auch dazu, das massive Tierleid und die damit verbundenen Risiken dieses Handels zu verhindern. Es ist dringend notwendig, dass Länder in ganz Europa, einschließlich Deutschland, diesen Mechanismus formell und unverzüglich einführen. Wenn wir schon Lea nicht davor schützen konnten, ihrer Mutter entrissen und quer durch Europa verfrachtet zu werden, dann müssen wir zumindest alle zukünftigen Leas vor dem gleichen Schicksal bewahren.